The Descent of Man
Ein persönliches, provokantes und kluges Plädoyer für neue Männlichkeiten. Grayson Perry analysiert mit Humor, Feingefühl und gesellschaftskritischem Scharfsinn, wie traditionelle Männlichkeitsbilder Männer und Gesellschaft gleichermaßen behindern – und warum wir dringend neue Narrative brauchen.
In The Descent of Man beschäftigt sich der britische Künstler und Turner-Preisträger Grayson Perry mit einem Thema, das sowohl individuell als auch kulturell tief verankert ist: der Konstruktion von Männlichkeit. Mit seinem Markenzeichen – einem ironischen, genderfluiden Blick auf kulturelle Codes – zerlegt Perry die sozialen Rituale, Mythen und Machtstrukturen, die mit der Idee des „Mannes“ verbunden sind.
Perry beginnt mit einer autobiografischen Reflexion über seine eigene maskuline Prägung, seine Kindheit im konservativen England der 1960er/70er Jahre und seinen Ausbruch aus den normativen Erwartungen durch seine Rolle als Künstler und als Cross-Dresser. Er analysiert, wie Männer oft in Rollen gedrängt werden, die Stärke, Dominanz, emotionale Zurückhaltung und Wettbewerb glorifizieren – und wie diese Ideale psychische wie gesellschaftliche Schäden erzeugen.
Ein zentrales Thema ist das „Default Male“-Prinzip: Perry beschreibt, wie in westlichen Gesellschaften das weiße, heterosexuelle, wirtschaftlich potente männliche Subjekt als Norm fungiert – sei es in der Politik, im Design, in der Sprache oder im sozialen Gefüge. Er illustriert dies anhand von Beispielen aus Werbung, Architektur und Berufsleben. Das Unsichtbare wird sichtbar gemacht: Wer schreibt die Regeln? Wer wird gesehen – und wer nicht?
Besonders eindrücklich ist Perrys Analyse der Verbindung zwischen Männlichkeit und Gewalt. Er diskutiert Statistiken zu Kriminalität, Terrorismus und häuslicher Gewalt und zeigt, wie eine bestimmte Vorstellung von Männlichkeit als unterdrückerisches, machthungriges Ideal nicht nur Frauen, sondern vor allem Männer selbst schädigt. Perry beschreibt dies nicht anklagend, sondern empathisch – mit dem Wunsch, neue Räume der Selbstreflexion und Heilung zu schaffen.
Ein weiterer Fokus liegt auf emotionaler Bildung. Perry plädiert dafür, Jungen schon früh emotionale Ausdrucksmöglichkeiten zu geben – durch Sprache, Kunst, Freundschaft. Er verweist auf positive Gegenbeispiele: Väter, die Care-Arbeit übernehmen, Männer, die sich verletzlich zeigen, queere Identitäten, die alternative Männlichkeitsmodelle leben. In einem Kapitel beschreibt er Workshops mit jungen Männern, in denen er über Gender, Angst und Zukunft spricht – oft mit überraschenden Ergebnissen, die zeigen, wie viel Bereitschaft zum Umdenken existiert.
Die Sprache des Buches ist leicht, pointiert, oft humorvoll, aber nie banal. Perry nutzt Popkultur, Kunstgeschichte, Alltagserfahrungen und politische Theorie gleichermaßen, um seine Thesen zu untermauern. Besonders kraftvoll sind die vielen Illustrationen und persönlichen Anekdoten, die den Text menschlich und zugänglich machen.
The Descent of Man ist kein Manifest gegen Männer, sondern für ein besseres Menschsein. Perry argumentiert, dass neue Männlichkeiten keine Schwäche bedeuten, sondern Befreiung – von Rollenklischees, von innerem Druck, von der Angst, „nicht genug Mann“ zu sein. Seine Schlussfolgerung: Emanzipation ist keine Einbahnstraße. Wenn Männer lernen, sich neu zu definieren, profitieren alle.
QUELLE / ISBN - 9780141981741
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